Ärger mit Whatsapp: Was macht eigentlich der Messengerdino ICQ? (2024)

Ärger mit Whatsapp: Was macht eigentlich der Messengerdino ICQ?

Seit die Kritik an Whatsapp wächst, ist plötzlich ein alter Bekannter wieder im Gespräch: ICQ. Könnte der Messengerdino eine Alternative sein?

Quelle: Matthias Schwarzer/RND

Seit Whatsapp neue Datenschutzrichtlinien angekündigt hat, sind viele Nutzer auf der Suche nach einem neuen Messenger. In manchen Teilen der Erde erlebt nun ausgerechnet ein alter Bekannter einen Boom: ICQ. Könnte der Messengerdino tatsächlich eine Alternative sein?

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Matthias Schwarzer

Hannover. Mein erster Anmeldeversuch bei ICQ nach mehr als zehn Jahren verläuft schleppend. Erstaunlicherweise kenne ich meine neunstellige ICQ-Nummer noch immer auswendig – es scheitert vielmehr am Passwort. Eine Mailadresse hat man damals augenscheinlich nicht mit dem Dienst verknüpft – ein Zurücksetzen des Passworts ist somit auch nicht möglich.

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Nach mehreren Fehlversuchen und viel Rätselraten klappt es dann aber doch: Ich bin drin, im guten alten ICQ. Wobei der Begriff „alt“ nicht richtig ist. Die App, die man in Prä-Smartphone-Zeiten noch stationär auf seinem Rechner nutzte, ist heute ein vollwertiger Smartphone-Messenger, der Whatsapp und Co. in nichts nachsteht.

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ICQ-Boom in Hongkong

Und das scheint sich herumzusprechen: In Hongkong beispielsweise sollen laut einem Bericht des „Wall Street Journal“ neuerdings die Downloadzahlen des ICQ-Messengers in die Höhe schnellen. Bis zu 35-mal hätten sich diese im Januar erhöht, ICQ werde sogar in Schulen eingesetzt, berichtet die Zeitung. Die Nutzer des Messengers seien vor allem ehemalige Kinder der Neunziger, die jetzt, Jahrzehnte später, zu dem einst beliebten Messenger zurückkehren.

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In den deutschen App-Charts spielt ICQ derweil noch keine große Rolle. Dabei könnte die Zeit für ein Comeback kaum besser sein: Der Messenger Whatsapp ist wegen neuer Datenschutzrichtlinien seit Wochen massiver Kritik ausgesetzt, Nutzer wechseln in Scharen zu alternativen Messengerdiensten wie etwa Telegram, Signal oder Threema. Eigentlich der perfekte Zeitpunkt für ein Comeback von ICQ. Wäre der Messengerdino tatsächlich eine Alternative? Ein Blick in die App – und auf seine Sicherheitsfeatures.

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Quelle: Matthias Schwarzer/RND

Wie sieht ICQ heute aus?

Wer sich heute bei ICQ anmeldet, tut dies in der Regel nicht mehr mit seiner neunstelligen Nummer, sondern mit seiner Handynummer. Unmittelbar nach dem Installieren der App wird der Nutzer aufgefordert, diese anzugeben und sein gesamtes Telefonbuch zu synchronisieren. Das ist aus Datenschutzaspekten mindestens genauso bedenklich wie bei Whatsapp – hat aber auch den Vorteil, dass man keine komplizierten ICQ-Nummern mehr austauschen muss.

Kurz darauf gelangt man ins Hauptmenü des Messengers. Dieses besteht heute aus drei Rubriken: Ganz links im Menü finden sich Videochats, rechts gelangt man zu den Textchats, die sich innerhalb von zehn Jahren offenbar selbst zerstört haben. Alte Konversationen aus längst vergangenen Zeiten sind trotz alter Anmeldedaten hier nicht mehr zu finden.

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Neu ist offenbar der Button in der Mitte. „Interessant“ heißt dieser, und ist augenscheinlich eine Ansammlung öffentlicher Gruppen, wie man sie etwa auch von Telegram kennt. Vorgeschlagen wird mir hier etwa der „Deutsche Chat“ mit immerhin 22.000 Mitgliedern, dem man laut Beschreibung beitreten kann, um neue Leute kennenzulernen.

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Eine digitale Ruine

Es folgen weitere Gruppen wie etwa „Reisen & Lost Places“, „Fantasy & Art“ oder „Musik und Sprüche zum Nachdenken“. Sonderlich aktiv scheinen die Nutzer in diesen Gruppen allerdings nicht zu sein – oftmals stammen die letzten Beiträge aus dem Oktober.

Deutlich mehr Aktivität scheint in russischsprachigen Gruppen zu herrschen, die mir ebenfalls auf der Startseite empfohlen werden. Es gibt beispielsweise eine Nirvana-Fangruppe, in der allerdings ausschließlich Naturfotos gepostet werden. In der Gruppe „Best Pictures in Web“ wird wahllos alles gepostet, von Tierbildern bis zu erotischen Fotomodels.

Die Funktion der Privatchats unterscheidet sich derweil kaum noch von anderen Messengern. Mit einem Unterschied: Hier chattet niemand mehr. Meine Kontakte von damals sind alle noch da, sie alle haben jedoch exakt dieselben pixeligen Profilfotos von damals, irgendwann Ende der 2000er-Jahre. Hier bei ICQ ist irgendwann die Zeit stehen geblieben, meine Kontaktliste von damals ist eine digitale Ruine.

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„I can’t hear you“

Das wird auch deutlich, wenn man sich die Zusatzinfos zu den Kontakten anschaut. Hier ist zu sehen, wann diese sich zuletzt eingeloggt haben. „Vor langer Zeit“ steht bei nahezu jedem. Nur bei einem Kontakt mit dem Nickname „Benjamin“ werde ich stutzig: Er hat sich offenbar noch am 18. Dezember 2020 eingeloggt. Ich spiele kurz mit dem Gedanken, Benjamin anzuschreiben, bis mir auffällt, dass ich nicht einmal mehr weiß, wer das überhaupt ist.

Ich frage mich, wie es überhaupt zum Untergang von ICQ kommen konnte. Warum haben wir den Messenger überhaupt verlassen? Fakt ist, dass ICQ in den jungen Jahren des Social-Webs, also in Zeiten von StudiVZ und MySpace, noch eine ziemlich große Rolle spielte.

Man chattete eher über ICQ als über den gruseligen „Plauderkasten“ bei StudiVZ. Nicht zuletzt, weil man hier neben vielen lustigen Emojis (legendär waren vor allem die in ICQ 5.1) auch die Möglichkeit hatte, skurrile Viecher über den Bildschirm des Gegenübers zu jagen. Beispielsweise die Katze, die einmal quer über den Bildschirm kratzt, oder den kleinen Mann, der ununterbrochen „I can’t hear you“ sang. Zum unausgesprochenen ICQ-Knigge gehörte, dass man diese Effekte nur rudimentär nutzte. Nicht nur, weil sie ungeheuerlich nervten, sondern auch, weil sie die Rechenleistung des Computers ziemlich in die Knie zwangen.

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Nutzerzahlen brechen ein

Abgelöst wurde ICQ erst durch Facebook und seinen eigenen Messenger. Ich kann mich erinnern, dass es anfangs sogar noch möglich war, ICQ- und Facebook-Chats in einem Messenger zu kombinieren. Da sich später aber ohnehin niemand mehr über ICQ unterhielt, wurde die Funktion mit der Zeit unnötig. Und wenige Jahre später kamen dann auch die Smartphones und Whatsapp, was den Messenger ICQ endgültig überflüssig machte. Trotz ähnlicher Funktionen schaffte es ICQ nie, den Status eines „SMS-Ersatzes“ zu bekommen, wie Whatsapp ihn lange vor sich hertrug.

Ungefähr zur selben Zeit wechselte ICQ dann auch den Besitzer. Gehörte der Messenger anfangs noch dem amerikanischen Internetgiganten AOL, wurde er im April 2010 an die russische Mail.Ru-Gruppe verkauft. Hatte der Messenger Anfang der 2000er-Jahre rund 100 Millionen Nutzer, waren es zu diesem Zeitpunkt nur noch 42 Millionen. Bis 2013 sank die Nutzerzahl sogar auf 11 Millionen.

Eingestellt wurde ICQ dennoch nie – im Gegenteil. Immer wieder bastelte das russische Unternehmen an neuen Funktionen, bereits seit 2010 gibt es auch Apps für iOS und Android. Der letzte Relaunch erfolgte im April 2020, seither trägt ICQ den Namen „ICQ New“.

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Wie sicher ist ICQ heute?

Wäre noch die Frage zu klären, ob ICQ heute nicht tatsächlich eine Alternative zum inzwischen viel kritisierten Messenger Whatsapp sein könnte. Schließlich bietet der Messengerdino heute alles, was auch Whatsapp und Co. können.

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Doch so einfach ist es leider nicht. Denn in Sachen Sicherheit ist der Messenger auf dem Stand der Neunzigerjahre hängen geblieben. Chats sind bei ICQ nicht verschlüsselt, berichtete „Golem“ im vergangenen Jahr zum Start von „ICQ New“. In den internationalen AGB wurde darauf sogar explizit hingewiesen, in der EU-Version fehlte der Passus. Fakt ist: Was genau ICQ mit den Chats macht, ist völlig undurchsichtig. Das macht den Messenger weitaus unsicherer als beispielsweise Whatsapp, das standardmäßig mit einer Ende-zu-Ende-Verschlüsselung ausgestattet ist. Bei ICQ gilt diese augenscheinlich nur für Sprach- und Videoanrufe.

Wer ICQ aber nur zum Spaß mal wieder ausprobieren will, der kann hier auf jeden Fall ein gewisses Retro-Feeling erleben. Die Katze und den „I can’t hear you“-Mann scheint es heute zwar nicht mehr zu geben – doch die typischen Messengertöne von damals sind noch alle da. Etwa das charakteristische Ploppen, wenn ein Kontakt online geht. Und natürlich auch das legendäre „A-oh“, sogar in zwei verschiedenen Varianten: mit Hall und ohne. Jetzt müsste halt nur noch jemand schreiben.

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